Mittwoch, 10. Februar 2010

Zu den „Zensur“-Vorwürfen der Gruppe 170

Etwas verwundert haben wir die Vorwürfe zur Kenntnis genommen, die die Gruppe 170 gegen die Veranstalter_innen der Demonstration »Antisemitische Schläger unmöglich machen – auch linke!« in der Zeck Nr. 154 erhebt. Anlässlich der Dokumentation ihres von den Veranstalter_innen abgelehnten Redebeitrags heißt es, „die Zensur unseres Redebeitrags“, der angeblich „wie alle anderen ... dem Vorbereitungskreis vorgelegt“ worden sei, sei eine „Unverschämtheit“ und eine „politisch zerstörerische Maßnahme“, welche sie „an den Motiven der Veranstaltenden zweifeln“ lasse.

Die Gruppe 170 hat weder den Demonstrationsaufruf unterstützt noch sich an den Vorbereitungstreffen beteiligt. Von der Existenz der Gruppe haben wir erfahren, als uns auf dem Bündnistreffen vom 8.12. ihr Interesse ausgerichtet wurde, am 13.12. einen Redebeitrag zu halten, auf dem 'auch die Argumentationsweisen des Aufrufs kritisiert werden würden'. Der Text der Rede wurde den beteiligten Gruppen drei Tage vor der Demonstration per E-mail-Verteiler zugänglich gemacht – zu einem Zeitpunkt also, als an eine inhaltliche Diskussion (wie sie über andere strittige Beiträge durchaus geführt wurde) nicht mehr zu denken war. Stattdessen wurde von mehreren Gruppen, mit zum Teil ausführlichen Begründungen, Veto eingelegt.

Die Interpretation der Vorfälle auf der Barmbeker Anti-Nazi-Demo vom 31.1.2004 war, am Rande vermerkt, dabei nur einer von mehreren strittigen Punkten. Zu den Eigentümlichkeiten der Debatte über linken Antisemitismus gehört es freilich immer wieder, dass vor lauter Aufregung selbst die einfachsten Fakten nicht zur Kenntnis genommen werden – hier beispielsweise, dass im Aufruf des Bündnisses überhaupt nicht von den Prügeleien um die Israel- und USA-Fahnen die Rede ist. Thematisiert wird vielmehr der Angriff auf die kp berlin und ihr Transparent »Deutschland denken heißt Auschwitz denken«, welcher stattgefunden hatte, bevor irgendwelche „Nationalfahnen“ die Gemüter erregt hatten – siehe http://phase2.nadir.org/rechts.php?artikel=196&print.

Genauso eigentümlich allerdings ist, dass selbst eine eingebildete Kritik immer wieder dazu führt, dass die Kritisierten alles daran setzen, Gründe für deren Berechtigung nachzuliefern. Ihren Feldzug gegen antideutsche Geschichtsklitterungen nämlich meint die Gruppe 170 in einem Dankeschön an die antifaschistischen Genossinnen und Genossen gipfeln lassen zu müssen, welche auf der Barmbeker Demo den Übergriff der antideutschen Provokateure abgewehrt haben. Völlig egal aber, was man von antideutschem Hegemoniestreben auf antifaschistischen Bündnisdemonstrationen hält: Wer Leuten dankt, die Israelfahnen unter Intifada- und Mörder, Mörder-Rufen in den Dreck treten, beweist nur, dass selbst ein klares Bekenntnis gegen Antisemitismus nicht vor der Kumpanei mit Antisemit_innen schützt.

Hätte die Gruppe 170 ihren geplanten Beitrag im Vorfeld der Demonstration, womöglich als eigenen Aufruf, veröffentlicht, hätten wir uns zwar immer noch über die darin enthaltenen argumentfreien Allgemeinplätze geärgert – und uns dennoch über die Absage an die autonome Lethargie, wie sie im Verhältnis zum linken Antisemitismus vorherrschend ist, gefreut. Als Redebeitrag aber hätte der Text weder zur Mobilisierung der Szene getaugt noch zur Eröffnung einer Debatte, die über viele Buhrufe und einige Hört, hört! hätte hinausgehen können. Schon deswegen erschien uns rätselhaft, was sich die Gruppe 170 von ihrem Ansinnen versprochen hatte. Ebenso rätselhaft erschien uns, wie eine politisch doch hoffentlich nicht ganz unerfahrene Gruppe auf die Idee verfallen konnte, eine Demonstration sei so etwas wie eine Speakers' Corner, wo, ganz ohne inhaltliche Auseinandersetzung im Vorwege, jede_r das Wort ergreifen kann.

Die empörte Beschwerde der Gruppe 170 darüber, dass die Veranstaltenden das anders gesehen haben, ist nicht nur ein bisschen peinlich; sie sorgt dafür, dass ihre Initiative in genau das Schema linker Äquidistanz wieder eingepasst wird, das sie ursprünglich einmal in Frage stellen sollte.

Wir würden daher vorschlagen, statt über Rederechte, Entscheidungsstrukturen und Diskurshoheiten lieber über das zu streiten, worüber es sich zu streiten lohnt: den Dissens in der Sache. Zu diesem Zweck schlagen wir eine öffentliche Debatte mit Vertreter_innen von uns und der Gruppe 170 vor.

Bündnis gegen Hamburger Unzumutbarkeiten, Februar 2010

Samstag, 6. Februar 2010

Erneuter Überfall von B5-Aktivisten auf Antisemitismusgegner


In der Nacht zum Sonntag, den 31. Januar 2010, überfielen Aktivisten des »Internationalen Zentrums B5« zwei israelsolidarische Antifaschisten. Die beiden Antifaschisten, die unter anderem im »Bündnis gegen Hamburger Unzumutbarkeiten« gegen Antisemitismus aktiv sind, wurden nach dem Verlassen einer Diskothek von drei
Schlägern empfangen. Die Angreifer brüllten antiisraelische Parolen, gingen mit Faustschlägen auf ihre Opfer los und traten, als diese am Boden lagen, weiter auf sie ein. Erst als es den Angegriffenen gelang, die Polizei zu rufen, flohen die Angreifer.

Bereits am Abend hatte eine Gruppe von fünf Personen, darunter die späteren Angreifer, eines der Opfer auf der Straße erkannt, woraufhin sie es bepöbelten und körperlich bedrängten. Dabei wurde der junge Mann, weil er einen Israel-Button trug, als Faschist beschimpft, welcher den Genozid an den Palästinensern propagiere. Einige Stunden später trafen die B5-Anhänger in der Diskothek ein, in welcher sich die beiden Antifaschisten befanden, und setzten die antiisraelischen Pöbeleien fort. Als die Angreifer mehrmals handgreiflich wurden, darunter mit gezielten Schlägen ins Gesicht, wurden sie schließlich der Diskothek verwiesen. Daraufhin lauerten sie ihren Opfern auf deren Nachhauseweg auf. Die beiden Angegriffenen erlitten mehrere Prellungen und Schürfwunden. Gegen die namentlich bekannten Angreifer wurde Anzeige erstattet.

Mitglieder des »Internationalen Zentrums B5« sind in der Vergangenheit immer wieder durch körperliche Angriffe auf antisemitimuskritische Personen und Veranstaltungen aufgefallen. Im Oktober 2009 verhinderten sie mit Gewalt eine Vorführung von Claude Lanzmanns Film »Warum Israel« im Hamburger Programmkino b-movie. Dieser Vorfall, bei dem Kinogäste geschlagen und unter anderem als „Schwuchteln“ und „Judenschweine“ beschimpft wurden, hatte im In- und Ausland für Empörung gesorgt. In Reaktion darauf hatte sich auch das »Bündnis gegen Hamburger Unzumutbarkeiten« gegründet, das am 13.12., anlässlich der Neuansetzung des Lanzmann-Films im b-movie, gegen linken Antisemitismus demonstrierte.

Bereits in den vergangenen Monaten waren Mitglieder des Bündnisses von Aktivisten der B5 mehrfach bedroht und auch körperlich angegriffen worden. Angesichts des jüngsten Überfalls auf Antisemitismusgegner unterstrich das Bündnis seine Forderung, das Internationale Zentrum politisch zu isolieren und die von ihm ausgehende antisemitische Hetze endlich zu unterbinden. Wer den Antisemitismus und die Gewalt der B5 verharmlose, gar mit den dort organisierten Gruppen politisch weiter zusammenarbeite, ermuntere die Schläger zu weiteren Angriffen.

Montag, 1. Februar 2010

Dokumentation: Ein lautschweigender Konsens

Spekulationen dazu, warum es der Linken so schwer fällt, die Gegenwart des Antisemitismus im Bewusstsein zu halten.

Vorbemerkung
Der folgende Text ist entstanden während der Diskussionen um die gewaltsame und von offen antisemitischen Parolen begleitete Verhinderung des Films „Warum Israel“ von Claude Lanzmann. Er wurde geschrieben mit der Absicht, anhand eines aktuellen Falls auf den generellen Charakter der Antisemitismusdebatten in der Linken zu reflektieren. Die zu diesem Zweck analysierten Beispiele sind mehr oder weniger Zufall, ihre Eigenarten hätten auch an anderen Stellungnahmen oder Passagen herausgearbeitet werden können, und die Schlussfolgerungen haben daher den Anspruch, eine allgemeinere Dynamik zu beschreiben. Der Text ist nicht nur mit den Ziel verfasst, einige üblicherweise vernachlässigte Aspekte des Antisemitismus zu diskutieren, sondern er soll auch dazu dazu geeignet sein, die Erfahrungen, die beim Versuch entstehen, Antisemitismus in der Linken zu thematisieren, besser diskutierbar zu machen. Dies sollte auch denjenigen möglich sein, die die Details der Vorfälle in Hamburg nicht kennen.

Die Demonstration des Bündnisses am Tag der Aufführung ist inzwischen gelaufen, und die Diskussionen darum blieben im Rahmen des Unüblichen. Beherrscht wird die Szenerie dabei offenkundig von dem Wunsch, äquidistant zu den „Streithähnen“ bleiben zu können. Schon im Vorfeld deutete sich an, dass es kaum bzw. keine Beteiligung unter den ansonsten üblichen Bedingungen geben würde. Alle außerhalb des Bündnisses handelten so, als sei es die normalste Sache der Welt, dass ein Demoaufruf nur dann unterstützt wird, wenn im Aufruftext jedes Wort der eigenen Position entspricht und wenn außerdem keine Gruppe beteiligt ist, die an anderer Stelle einmal ein falsches hat verlauten lassen. Versuche, Alternativaufrufe zu lancieren oder eigene Blöcke zu bilden, hat es nicht gegeben.

So ist es auch nicht überraschend, dass auch der Versuch, die Blockade zu wiederholen, auf wenig Widerspruch gestoßen ist. Dass am Tag der Demo deren Route mit Graffiti wie „Antideutsche klatschen“ – ein recht eindeutiger Aufruf zur erneuten Anwendung von Gewalt – versehen war, ist, soweit ich es momentan überblicken kann, von niemandem außerhalb des Bündniskreises thematisiert worden. Auch fühlte sich von denjenigen, die aus welchen Gründen auch immer sich an der Demo nicht beteiligen wollten, niemand berufen, wenigstens mit dafür zu sorgen, dass die KinobesucherInnen nicht gefilmt und fotografiert werden können. In zusammenfassenden Worten: Über den Auseinandersetzungen um linken Antisemitismus ist ein Tabu verhängt, dass bei allen Beteiligten in einer „Alles oder nichts“-Haltung zu resultieren scheint. Begreifbar zu machen, warum es sich hierbei weder um Zufall noch um individuell motivierte Entschlussunfähigkeit handelt, sondern um einen Teil des inhaltlichen Problem, das als solches auch theoretisch ernst genommen werden muss, ist die zentrale Absicht dieses Textes.

Link zum ganzen Text

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