Etwas verwundert haben wir die Vorwürfe zur Kenntnis genommen, die die Gruppe 170 gegen die Veranstalter_innen der Demonstration »Antisemitische Schläger unmöglich machen – auch linke!« in der Zeck Nr. 154 erhebt. Anlässlich der Dokumentation ihres von den Veranstalter_innen abgelehnten Redebeitrags heißt es, „die Zensur unseres Redebeitrags“, der angeblich „wie alle anderen ... dem Vorbereitungskreis vorgelegt“ worden sei, sei eine „Unverschämtheit“ und eine „politisch zerstörerische Maßnahme“, welche sie „an den Motiven der Veranstaltenden zweifeln“ lasse.
Die Gruppe 170 hat weder den Demonstrationsaufruf unterstützt noch sich an den Vorbereitungstreffen beteiligt. Von der Existenz der Gruppe haben wir erfahren, als uns auf dem Bündnistreffen vom 8.12. ihr Interesse ausgerichtet wurde, am 13.12. einen Redebeitrag zu halten, auf dem 'auch die Argumentationsweisen des Aufrufs kritisiert werden würden'. Der Text der Rede wurde den beteiligten Gruppen drei Tage vor der Demonstration per E-mail-Verteiler zugänglich gemacht – zu einem Zeitpunkt also, als an eine inhaltliche Diskussion (wie sie über andere strittige Beiträge durchaus geführt wurde) nicht mehr zu denken war. Stattdessen wurde von mehreren Gruppen, mit zum Teil ausführlichen Begründungen, Veto eingelegt.
Die Interpretation der Vorfälle auf der Barmbeker Anti-Nazi-Demo vom 31.1.2004 war, am Rande vermerkt, dabei nur einer von mehreren strittigen Punkten. Zu den Eigentümlichkeiten der Debatte über linken Antisemitismus gehört es freilich immer wieder, dass vor lauter Aufregung selbst die einfachsten Fakten nicht zur Kenntnis genommen werden – hier beispielsweise, dass im Aufruf des Bündnisses überhaupt nicht von den Prügeleien um die Israel- und USA-Fahnen die Rede ist. Thematisiert wird vielmehr der Angriff auf die kp berlin und ihr Transparent »Deutschland denken heißt Auschwitz denken«, welcher stattgefunden hatte, bevor irgendwelche „Nationalfahnen“ die Gemüter erregt hatten – siehe http://phase2.nadir.org/rechts.php?artikel=196&print.
Genauso eigentümlich allerdings ist, dass selbst eine eingebildete Kritik immer wieder dazu führt, dass die Kritisierten alles daran setzen, Gründe für deren Berechtigung nachzuliefern. Ihren Feldzug gegen „antideutsche Geschichtsklitterungen“ nämlich meint die Gruppe 170 in einem Dankeschön „an die antifaschistischen Genossinnen und Genossen“ gipfeln lassen zu müssen, welche auf der Barmbeker Demo „den Übergriff der antideutschen Provokateure abgewehrt haben“. Völlig egal aber, was man von antideutschem Hegemoniestreben auf antifaschistischen Bündnisdemonstrationen hält: Wer Leuten dankt, die Israelfahnen unter „Intifada“- und „Mörder, Mörder“-Rufen in den Dreck treten, beweist nur, dass selbst ein klares Bekenntnis gegen Antisemitismus nicht vor der Kumpanei mit Antisemit_innen schützt.
Hätte die Gruppe 170 ihren geplanten Beitrag im Vorfeld der Demonstration, womöglich als eigenen Aufruf, veröffentlicht, hätten wir uns zwar immer noch über die darin enthaltenen argumentfreien Allgemeinplätze geärgert – und uns dennoch über die Absage an die autonome Lethargie, wie sie im Verhältnis zum linken Antisemitismus vorherrschend ist, gefreut. Als Redebeitrag aber hätte der Text weder zur Mobilisierung der Szene getaugt noch zur Eröffnung einer Debatte, die über viele Buhrufe und einige „Hört, hört!“ hätte hinausgehen können. Schon deswegen erschien uns rätselhaft, was sich die Gruppe 170 von ihrem Ansinnen versprochen hatte. Ebenso rätselhaft erschien uns, wie eine politisch doch hoffentlich nicht ganz unerfahrene Gruppe auf die Idee verfallen konnte, eine Demonstration sei so etwas wie eine Speakers' Corner, wo, ganz ohne inhaltliche Auseinandersetzung im Vorwege, jede_r das Wort ergreifen kann.
Die empörte Beschwerde der Gruppe 170 darüber, dass die Veranstaltenden das anders gesehen haben, ist nicht nur ein bisschen peinlich; sie sorgt dafür, dass ihre Initiative in genau das Schema linker Äquidistanz wieder eingepasst wird, das sie ursprünglich einmal in Frage stellen sollte.
Wir würden daher vorschlagen, statt über Rederechte, Entscheidungsstrukturen und Diskurshoheiten lieber über das zu streiten, worüber es sich zu streiten lohnt: den Dissens in der Sache. Zu diesem Zweck schlagen wir eine öffentliche Debatte mit Vertreter_innen von uns und der Gruppe 170 vor.
Bündnis gegen Hamburger Unzumutbarkeiten, Februar 2010