Spekulationen dazu, warum es der Linken so schwer fällt, die Gegenwart des Antisemitismus im Bewusstsein zu halten.
Vorbemerkung
Der folgende Text ist entstanden während der Diskussionen um die gewaltsame und von offen antisemitischen Parolen begleitete Verhinderung des Films „Warum Israel“ von Claude Lanzmann. Er wurde geschrieben mit der Absicht, anhand eines aktuellen Falls auf den generellen Charakter der Antisemitismusdebatten in der Linken zu reflektieren. Die zu diesem Zweck analysierten Beispiele sind mehr oder weniger Zufall, ihre Eigenarten hätten auch an anderen Stellungnahmen oder Passagen herausgearbeitet werden können, und die Schlussfolgerungen haben daher den Anspruch, eine allgemeinere Dynamik zu beschreiben. Der Text ist nicht nur mit den Ziel verfasst, einige üblicherweise vernachlässigte Aspekte des Antisemitismus zu diskutieren, sondern er soll auch dazu dazu geeignet sein, die Erfahrungen, die beim Versuch entstehen, Antisemitismus in der Linken zu thematisieren, besser diskutierbar zu machen. Dies sollte auch denjenigen möglich sein, die die Details der Vorfälle in Hamburg nicht kennen.
Die Demonstration des Bündnisses am Tag der Aufführung ist inzwischen gelaufen, und die Diskussionen darum blieben im Rahmen des Unüblichen. Beherrscht wird die Szenerie dabei offenkundig von dem Wunsch, äquidistant zu den „Streithähnen“ bleiben zu können. Schon im Vorfeld deutete sich an, dass es kaum bzw. keine Beteiligung unter den ansonsten üblichen Bedingungen geben würde. Alle außerhalb des Bündnisses handelten so, als sei es die normalste Sache der Welt, dass ein Demoaufruf nur dann unterstützt wird, wenn im Aufruftext jedes Wort der eigenen Position entspricht und wenn außerdem keine Gruppe beteiligt ist, die an anderer Stelle einmal ein falsches hat verlauten lassen. Versuche, Alternativaufrufe zu lancieren oder eigene Blöcke zu bilden, hat es nicht gegeben.
So ist es auch nicht überraschend, dass auch der Versuch, die Blockade zu wiederholen, auf wenig Widerspruch gestoßen ist. Dass am Tag der Demo deren Route mit Graffiti wie „Antideutsche klatschen“ – ein recht eindeutiger Aufruf zur erneuten Anwendung von Gewalt – versehen war, ist, soweit ich es momentan überblicken kann, von niemandem außerhalb des Bündniskreises thematisiert worden. Auch fühlte sich von denjenigen, die aus welchen Gründen auch immer sich an der Demo nicht beteiligen wollten, niemand berufen, wenigstens mit dafür zu sorgen, dass die KinobesucherInnen nicht gefilmt und fotografiert werden können. In zusammenfassenden Worten: Über den Auseinandersetzungen um linken Antisemitismus ist ein Tabu verhängt, dass bei allen Beteiligten in einer „Alles oder nichts“-Haltung zu resultieren scheint. Begreifbar zu machen, warum es sich hierbei weder um Zufall noch um individuell motivierte Entschlussunfähigkeit handelt, sondern um einen Teil des inhaltlichen Problem, das als solches auch theoretisch ernst genommen werden muss, ist die zentrale Absicht dieses Textes.
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