Sonntag, 13. Dezember 2009

Psychopathologie des Antizionismus


Kein Antisemit, dem es nicht im Blute läge, nachzuahmen, was ihm Jude heißt, schreiben Horkheimer und Adorno in der »Dialektik der Aufklärung«. Das gilt auch für die AntizionistInnen. Sie jiddeln nicht, aber sie spielen für ihr Leben gerne israelischer Checkpoint. So auch vor dem b-movie, um dem Publikum die Realität Israels vor Augen zu führen. Wie aber sieht sie aus, die Realität Israels according to B5? Als die Verantwortlichen des B-Movies für diesen Tag erschienen, wurden sie selbstverständlich am Checkpoint aufgehalten und an der Überquerung gehindert, so wie es an einem Checkpoint in Palästina üblich ist.

Ach, es ist wie stets, wenn diese Leute sich ausdrücken wollen: Sie stolpern über ihre eigenen Bilder. Aufgehalten werden an israelischen Checkpoints üblicherweise ja nicht Off-Kino-Verantwortliche, sondern PalästinenserInnen - im Weltbild des Antizionismus heißt das: ohnmächtige, unschuldige Opfer. Wer aber darf im Laienspiel der B5 deren Rolle übernehmen? Niemand anderes als die Kinogäste selber - jene Kinogäste, die, der B5 zufolge, doch sämtlichst Antideutsche, Zionisten, Kriegstreiber sind, ganz gefährliche Burschen also; Burschen, die es sich selber zuzuschreiben haben, wenn man sie aufhält, piesackt, quält. Mit einem Wort: Burschen, die jeden Checkpoint, jede Repression rechtfertigen.

Aus dem Furchtbaren, was sich an israelischen Checkpoints in der Tat ereignen kann - und was vor allem aus der Praxis palästinensischer Terrorgruppen resultiert, Kinder, schwangere Frauen oder Krankenwagen für den Bombenschmuggel zu verheizen -, macht die B5 ein billiges Spektakel, das vor allem eins verrät: wie wenig sich die AntizionistInnen für die Schicksale derer interessieren, mit denen sie sich vorgeblich solidarisieren. Es verrät aber auch, woher ihre Fixierung auf Israel in Wirklichkeit stammt. Wer wissen will, welche Art Herrschaft der Antisemit erstrebt, muss bekanntlich nur in die »Protokolle der Weisen von Zion« schauen; wer wissen will, wonach es den Antizionisten gelüstet, braucht nur ihr Straßentheater in Augenschein zu nehmen. In ihren Projektionen plaudern sie ganz unbefangen ihre ureigenen Ziele aus: endlich einmal selber, mit dem Gewehr in der Hand, 'Du kommst hier nicht rein' brüllen dürfen.

Die Sehnsucht nach Willkür korrespondiert mit der Willkür der antizionistischen Feinderklärung. Dass der Hass auf Israel eine ganz natürliche Reaktion sei, spontane Empörung übers Unrecht, gehört zum Standardarsenal des antisemitischen common sense. In Wirklichkeit dürfte schon ein ägyptischer Fellache, eine iranische Studentin, selbst ein palästinensischer Tagelöhner ja dringlichere Probleme kennen als ausgerechnet die Existenz eines jüdischen Staates. Ist der Hass auf Israel im Nahen Osten, wo er die Massen mit ihren Unterdrückern zusammenschweißt, eine epochale Katastrophe, so ist er unter den Landsleuten eine verbissen aufrechterhaltene Schmierenkomödie - eine Schmierenkomödie, zu der die Errichtung von Checkpoints vor Off-Kinos passt wie die Faust aufs Auge der ZuschauerInnen.

Wer es nämlich hierzulande vorzieht, statt unter der Bundesregierung, den Eltern, dem Sachbearbeiter im Sozialamt oder, warum auch nicht, Dieter Bohlen lieber unter der Politik des Staates Israel zu leiden; wem in Deutschland nicht etwa Merkel, Lafontaine oder die Vertriebenen, wohl aber Netanjahu, Lieberman und die Siedler schlaflose Nächte bereiten - der offenbart nicht etwa sein großes Herz für die Unterdrückten und Entrechteten, sondern eine gehörige Störung der Realitätswahrnehmung. Denn wer nichts Grauslicheres und Verwerflicheres in der Welt kennen will als just den Zionismus, darf in der Tat die Welt um ihn herum nicht kennen. Die antizionistische Feinderklärung, so spontan sie auch einrastet, ist nichts anderes als organisierte Erfahrungsresistenz.

Sich von den Verbrechen des Zionismus betroffen zu fühlen, ist daher ein Entschluss, der ein gehöriges Ausmaß an emotionaler Energie erfordert. Wer ihn trifft, muss, um sich seinen Furor zu bewahren, beständig die Distanz zum Objekt des Hasses verleugnen - und stattdessen Israel so dicht an sich heranrücken, dass er den 'Zionisten' schließlich in seinem Hinterhof entgegentreten kann. Was der Antizionist, mit anderen Worten, beständig tun muss, ist sein leerer und nichtiges Ich so aufzuplustern und aufzublasen, bis es von Hamburg direkt nach Haifa reicht.

Nirgends deutlicher wird die Maßlosigkeit dieser Aufgeblasenheit, der Verlust aller Proportionen in dem wohl schmierigsten Satz, den die B5 verfassen konnte. Wir würdigen, heißt es in ihrem Rechtfertigungsschrieb, die Leistung von Claude Lanzmann im Kampf gegen den deutschen Faschismus. Aber am Beispiel von Otto Schily wird jeder erkennen, dass nicht vergangenes sondern aktuelles Handeln für die Frage, wo ein Mensch steht, ausschlaggebend ist. Die Unverschämtheit beginnt nicht erst mit dem zweiten Satz, in welchem deutsche Linke einem französischen Juden Kopfnoten in revolutionärem Betragen geben. Es ist bereits - oder vielmehr: vor allem - die gönnerhafte Geste, mit der sie einem jüdischen Partisanen das B5-Verdienstkreuz anheften, weil er in der Résistance ähnlich tapfer gegen den deutschen Faschismus gekämpft habe wie Otto Schily in Stammheim. Manche halten sich in ihrem Wahn bloß für Napoleon; manche aber für was besseres, und ob sich die B5 über Lanzmann erhebt, um ihn als Neocon zu entlarven oder um ihm kumpelhaft von oben auf die Schulter zu klopfen, spielt dabei kaum eine Rolle.

Dem Aufblasen dient auch die irrwitzige Präambel, welche die B5 ihrem Pamphlet voranstellt und die den Titel 'Die weltrevolutionäre Lage und wir' tragen könnte. Darin geht es zu, dass es nur so seine Bewandtnis hat. Wir, mit diesen goldenen Worten hebt es an, wir als bewusste Linke wissen. Und wovon wissen die bewussten Linken? Vom System der weißen Dominanz, das auch aus dem Holocaust wieder dominant hervorging; von Widersprüchen, die sich zuspitzen und dann, wie zwei angespitzte Bleistifte, schärfer aufeinander treffen. Jedenfalls wenn sie gut zielen.

Eben das ist der Preis, den die Sehnsucht nach grenzenloser Willkür zu zahlen hat: eine Sprache, welche die Fallhöhe zwischen weltrevolutionärem Feldherrenhügel und Hinterhofkeilerei beständig überschreien muss und dabei, um das schöne Bild der B5 zu zitieren, vom Wanken ins Kippen gerät.

Weil die Willkür keine Rechtfertigung kennt und keine kennen darf, zerfällt ihr dabei jeder Begriff von zielgerichtetem Handeln. Der Antizionismus à la B5 steht längst nicht in keinem übergreifenden Begründungszusammenhang mehr von Fortschritt und Reaktion, von Imperialismus und Antiimperialismus. Er steht bloß noch für sich selber. Von den politischen Koordinaten, in welchen er sich einstmals, wie schief und krumm auch immer, verortete, sind bloße Worthülsen übrig geblieben, die, beziehungslos nebeneinander gestellt, partout keinen zusammenhängenden Sinn mehr bilden. Faselt die B5 von imperialistischen Kriegen, Besatzung und Vertreibung, welche von den Antideutschen gebilligt würden, kann niemand so genau mehr wissen, was eigentlich gemeint ist: der israelische Gründungskrieg oder doch eher die Potsdamer Konferenz. Und wenn die B5 schreibt, es wolle der Zionismus, die Aufrechterhaltung der Dominierung [...] festigen, dann wohl vor allem in der verzweifelten Hoffnung, es könne das überschnappende Tremolo doch noch retten, was nicht mehr zu retten ist.

Was bleibt, ist keine bestimmbare Praxis - sondern Identität. Nicht zufällig ist statt von Herrschaft viel von Kultur die Rede: von der »Kolonialkultur , dem künstlichen Charakter, dem kulturellen Export eines Wertesystems . Ging es früher um Mehrwert, so heute der B5 um echte Werte; hat man früher den Metropolen vorgeworfen, den Trikont ökonomisch zu berauben, so heute, den Trikont kulturell zu beliefern. Nicht um Unterdrückung geht es daher der B5, sondern um Doppelmoral; nicht um Befreiung, sondern um offene, intensive und kontinuierliche Arbeit.

Sage niemand, sie meinten doch das richtige, sie könnten es nur nicht recht ausdrücken. Der Nullschwurbel drückt genau das aus, was in ihnen steckt: deutsche Innerlichkeit. Er passt zu Leuten, die alles zugleich sein wollen: edle Ritter und arme Tröpfe; die sich nicht entscheiden können, ob sie kraftprotzend von Auseinandersetzungen schwadronieren sollen, vor denen sie nicht weglaufen konnten und wollten, oder doch lieber darüber jammern, dass Personen von Antideutschen gleich als Antisemiten beschimpft werden, wenn Kritik an Israel formuliert wird“. Selbst wenn es nur ein ganz kleines, klitzekleines Kritikchen ist!

Zu sich selber kommt der Jargon der verfolgenden Unschuld in der Einladung der SoL zu ihrer »Warum Israel«-Aufführung. Eine Einladung soll sie sein an alle, die Interesse haben, eine ehrliche und ergebnisoffene Diskussion mit uns zu führen; an alle Menschen guten Willens also, die bereit sind, den Parteienhader einmal ruhen zu lassen. Und schöner als das, was dann kommt, hätte es auch Martin Walser nicht sagen können. Wir halten es, schreibt die SoL, für wichtig, dass dieser Film in einem Rahmen gezeigt wird, in dem ein demokratisches und einschüchterungsfrei es Diskussionsklima herrscht - ein Klima also, in dem niemand mehr die erhobene Auschwitzkeule fürchten muss, weil tapfere Demokraten ja dafür sorgen, dass die zionistischen Meinungssoldaten draußen bleiben. Wenn's sein muss, eben auch mit Mundschutz und Kampfhandschuhen.

Wenn sie auch keine politische Strategie mehr kennen, dann doch, und umso effektiver, die Witterung für Stärke und Schwäche. Genau das sorgt dafür, dass vom linken Antizionismus das übrig bleibt, was Erfolg verspricht: das Geraune von Spießern, die doch nur, ganz offen und ehrlich, die nahöstliche Judenfrage klären wollen; das überparteiliche, ausgewogene, d. h. volksgemeinschaftskompatible Ressentiment; der Antisemitismus der edlen Seelen.

Mag es sich bei der B5 auch um Loser handeln, deren Sieg im Volkskrieg nur noch darin besteht, ihr Klo vor der Benutzung durch Zionisten beschützt zu haben: Das heißt noch lange nicht, dass sie nicht in der Lage wären, ihren soliden Beitrag zur deutschen Ideologieproduktion zu leisten. Erbärmlichkeit und Gefährlichkeit sind kein Widerspruch. Hinter jeder Zero, wusste schon Theodor Lessing, steckt ein Nero.

(Redebeitrag Demonstration gegen Antisemitismus, 13.12.09)