Sonntag, 15. November 2009

>> Debatte: Frequently Asked Questions

(Es handelt sich hierbei um Stellungnahmen, die nicht zum Aufruf gehören und die nicht unbedingt die Meinung aller UnterzeichnerInnen wiedergeben. Ihre Veröffentlichung wurde vom organisierenden Bündnis beschlossen.)

Die Gruppen, die die Aufführung von »Warum Israel« das letzte Mal verhindert haben, haben den Film ja nun selbst gezeigt, um damit zu beweisen, dass sie nichts gegen den Film haben, sondern dagegen, dass die Gruppe, die ihn zeigen wollte, ihn für ihre Zwecke instrumentalisiere. Wie glaubhaft ist diese Behauptung?

Glaubhafter geht es gar nicht. Zwar spricht nichts dafür, dass sie diese Auffassung bereits am 25.10. hatten, also zum Zeitpunkt ihrer Blockade. Denn in dem Flugblatt, dass sie dabei verteilten, ist die Rede von einem „zionistischen Propaganda-Film“. Belegt wurde dies mit einer Aufzählung angeblicher Unterlassungen, die sich der Regisseur habe zuschulden kommen lassen. Die Vorwürfe beziehen sich zum einen auf ausgelassene historische Fakten, die 1973, dem Jahr der Veröffentlichung des Films, noch gar nicht geschehen waren, und erwähnen ansonsten Punkte, die in dem Film sehr wohl vorkommen. Auch, wenn etwa der Konflikt mit den PalästinenserInnen mit anderen Worten zur Sprache kommt als mit jenen der antizionistischen Stereotypie, die das Flugblatt auszeichnet. Der Verdacht gegen den Film war offensichtlich ein Phantasieprodukt und ist insofern ein weiteres Beispiel dafür, dass das Muster der antisemitischen Wahrnehmung der Realität auf pathischer Projektion beruht.

Warum sie sich hier zu einer Korrektur durchgerungen haben, können wir nur vermuten und lassen es daher. Möglicherweise eine Lüge aus taktischen Erwägungen und damit potenziell unglaubwürdig wäre es gewesen, wenn sie die Korrektur eingestanden und vielleicht sogar einen Grund genannt hätten. So aber ist es sehr viel wahrscheinlicher, dass sich hier ein weiteres Mal der Sachverhalt bestätigte, dass Deutsche solche sind, die keine Lüge aussprechen können, ohne sie selbst zu glauben. Es ist wohl davon auszugehen, dass sie inzwischen selbst überzeugt davon sind, dass es so und nicht anders gewesen ist. Insofern ist die Behauptung glaubhaft.

Dafür spricht auch, dass die Presseerklärung, mit der sie über ihre Vorführung berichten, direkt wieder zu Protokoll gibt, dass sie auch ihre neue Ansicht zum Film wieder nach altbewährtem Muster stricken. Dort heißt es, Lanzmanns Position habe sich inzwischen zum Neokonservatismus gewendet, weil er israelische Kriege unterstütze, das Militär verherrliche, und Chauvinist sei, weil er der Auffassung sei, Menschenleben in Israel seien wertvoller als anderswo. Letzteres verkehrt vermutlich den Sinn einer Äußerung Lanzmanns in einem Interview in der taz, in dem dieser überlegt, warum in und von der israelischen Gesellschaft ein Menschenleben „als wertvoller erachtet“ wird als etwa von der Hamas, und zwar auch das der Feinde. Während dessen basiert die Behauptung, Lanzmann habe eine Wende vollzogen und befürworte erst neuerdings israelische Kriegsführung, abermals auf der Ignoranz der Inhalte von »Warum Israel«. Wer ihn gesehen hat und bereit ist, seinen Inhalt zur Kenntnis zu nehmen, wird feststellen, dass in ihm militärische Stärke als beruhigende Bedingung für den Aufbau Israels erscheint. Durch die Darstellung der Kontroversen darum bedauert der Film dies, dementiert es aber keinen Moment lang.

Widersprüche und Konflikte, die aus den äußeren Bedingungen der Staatsgründung und den daran geknüpften antisemitischen Feinderklärungen hervorgehen und die der Maßstab der Beurteilung des Verhaltens der Kriegsparteien sein müssen, wollen die Gruppen wie eh und je nicht wahrnehmen. Weil sie einen linken Zionisten nicht kennen wollen, erfinden sie sich dort, wo sie vorher nur Kriegspropaganda brüllen konnten, nun einen ehemaligen linken Antizionisten, mit dem ihre Gegner ihren „Bellizismus“ nicht verschleiern dürfen. Ein wenig sprunghaft das Ganze, aber so funktioniert der Vorwurf der Instrumentalisierung.


In diversen Blogs, Erklärungen usw. ist die Rede davon, dass es sich bei unseren Ansichten um Philosemitismus handelte, der ebenfalls eine Form des Antisemitismus sein soll. „Philo“ ist das griechische Wort für „Freund“. Wie kann sich etwas gegen Jüdinnen und Juden richten, wenn ihnen gegenüber eine freundschaftliche Haltung eingenommen wird? Ist das nicht widersprüchlich?

Ja, aber deswegen ist die Feststellung noch lange nicht falsch. Das Wort „Philosemiten“ wurde in der Geschichte verschieden verwendet. Die direkte Übersetzung, also „Freunde der Semiten“, wurde zum Entstehungszeitpunkt des modernen Rassenantisemitismus im 19. Jahrhundert von AntisemitInnen verwendet, um ihre GegnerInnen verächtlich zu machen. Diese Leute bezeichneten sich selbst als Antisemiten, und warfen damit denjenigen, die sie als Philosemiten bezeichneten, vor, die eigene Feindschaft nicht zu teilen. So verwendet, ist es ein Schimpfwort aus antisemitischer Perspektive.

Parallel dazu entstanden Vorstellungen, die von kritischer Seite als philosemitisch bezeichnet wurden und in denen das antisemitische Bild von den Jüdinnen und Juden positiv herausgestellt ist. Hierbei ist zu unterscheiden zwischen christlichem Philosemitismus, in dem das antisemitische Bild mit missionarischen Motiven gegen den Antisemitismus gewendet erscheint, und völkischem. Im christlichen Philosemitismus sollten die vermeintlich überlegenen jüdischen Eigenarten dem Christentum untergeordnet werden.

Die andere Variante war die völkische, in der die antisemitisch halluzinierte jüdische Übermacht unterwürfig bewundernd anerkannt wurde. Klassische Beispiele hierfür sind Schwärmereien von jüdischer Geisteskraft und Intelligenz. Die antizionistische Variante hiervon sind die Blitzkriegsphantasien der deutschen Öffentlichkeit anlässlich des Sechstagekriegs 1967. Ein aktuelles Beispiel, in dem christlicher und völkischer Philosemitismus vermengt werden, ist Thilo Sarrazins Ausspruch, dass ihm die Geburtenrate der türkischen Familien in Deutschland gefallen würde, wenn es sich um osteuropäische Juden handelte, die einen um 15 Prozent höheren IQ hätten. So stützt der Rassismus den Antisemitismus und umgekehrt.

Solange mit Philosemitismus also eine bestimmbare Haltung gemeint ist, ist er tatsächlich eine Form des Antisemitismus. Auch auf die unterschiedlichen politischen Konsequenzen, die aus direktem Antisemitismus und Philosemitismus folgen können, ist im Ernstfall wenig Verlass. Denn jede reale Handlung, die der Verteidigung gegen den Antisemitismus dienen könnte, wird niemals denjenigen Vorstellungen entsprechen können, die im philosemitischen Weltbild einer Handlung entsprechen. Wer etwa aufgrund der Erfahrungen, die Jüdinnen und Juden mit dem Zusammenhang von Nationalismus, nationaler Souveränität und Antisemitismus gemacht haben, erwartet, dass sich Israel als eine Friedensbewegung mit der Lizenz zur Ausstellung von Reisepässen gründet, wird enttäuscht werden wenn sich herausstellt, dass auch einem jüdischen Staat nicht Allmacht zum Guten zur Verfügung steht, sondern nur diejenigen Formen zur Verteidigung, die alle anderen Staaten dieser Welt auch verwenden. Und auch der nationale Mythos wird alle Elemente aufweisen wie überall sonst auch. Der Philosemitismus droht permanent, in direkten Antisemitismus umzukippen. Im Antisemitismus ist das fiktive Bild vom Jüdischen das konstante Moment, und das erhält sich eben auch im Philosemitismus.

Diese bekannte Wahrheit über den Philosemitismus wird freilich in den Erklärungen etwa der SoL verwendet, um nur die verwandelte Form anzuerkennen. Sie interessiert sich nicht für die darin enthaltene Erkenntnis über den Antisemitismus, sondern nur für die damit gegebene Möglichkeit, sie zur Abwehr zu verwenden. Zum ersten Ziel in der Bekämpfung des Antisemitismus erklären diejenigen, die Antisemitismus immer nur mit der Beteuerung bekämpft haben, selbst nicht antisemitisch zu sein, die Zurückweisung antideutscher Kritik. Wenn sie uns Philosemitismus vorwerfen, und die Bezeichnung damit auch als Schimpfwort verwenden – was der Einordnung des Philosemitismus als Antisemitismus historisch ja entgegengesetzt ist und die ursprüngliche unmittelbar antisemitische Verwendung wiederholt –, möchten sie damit vermutlich die linke Antisemitismuskritik ungeschehen machen, die sie seit Jahren so aufwühlt. Der Wunsch, der hier Vater des Gedankens sein dürfte, ist der nach einer Linken, in der jede Parteinahme für Israel ausgemustert werden kann, weil sie denjenigen Formen entspricht, die die antisemitische Gesellschaft hierfür bereithält: nationale Größe aus Verantwortung für die eigene Geschichte.


Es wird gesagt, »Warum Israel« sei ein „flammendes Plädoyer“ für, und kein Film über Israel. Auch legten wir zu viel Wert darauf, die Behauptung zurückzuweisen, dass es sich nicht um „zionistische Propaganda“ handele, weil solche uns ein Gräuel sei. Weil der Aufruf so vorgehe, beinhalte er eine Absage an die Solidarität mit Israel. Stimmt das?

Der Film ist eine Dokumentation der Lebensbedingungen und des Lebens in Israel Anfang der 70er Jahre. Dokumentiert werden die Fragen, die das Leben in Israel den dort lebenden Jüdinnen und Juden aufdrängte, die Antworten, die sie sich gaben, die Probleme, die sich ihnen beim Aufbau des Landes stellten und die Konflikte, die sich ergaben und teilweise auch noch heute ergeben. Er zeigt eine Realität, die mit den antizionistischen Wahnvorstellungen von Israel nichts zu tun hat, außer dass die Bedrohung durch diese ein Teil der Realität ist, die die im Film dokumentierten Israelis beschäftigt.

Ein flammendes Plädoyer für Israel ist der Film daher tatsächlich, nur überlässt er dabei alle Schlüsse den BetrachterInnen. Er bedient sich deshalb nicht des Mittels der Propaganda, sondern dem der darstellenden Konstruktion. Er hilft die Hoffnung zu verstehen, die sich für die Jüdinnen und Juden in aller Welt mit Israel verband und verbindet, und den Schutz, den es als Nationalstaat bietet. Weil wir denken, dies verstanden zu haben, wäre uns „zionistische Propaganda“, was immer im Einzelfall damit gemeint ist, auch kein Gräuel, und wenn wir auf Varianten treffen, die wir ablehnen, dann nicht, weil sie zionistisch, sondern weil sie Propaganda sind.

Ansonsten verstehen wir aber auch die Logik des Vorwurfs nicht. Sollen wir nun Propaganda befürworten, oder nicht? Und selbst wenn es sich um einen Propagandafilm handeln würde: Warum entzöge sich dann der Versuch, ihn zu zeigen, der Solidarität?


In den Presseberichten und auch in einigen politischen Stellungnahmen ist die Rede davon, bei den Gruppen der B5 handele es sich um Nazis, oder vielmehr sie verhielten sich so, dass sie nur mit Nazis verglichen werden können? Wie ist das zu verstehen?

Gar nicht, weil es nicht stimmt. Bei denjenigen, die verantwortlich sind für die Blockade und die Angriffe, gegen die wir uns wenden, handelt es sich um linke AntisemitInnen. Bei dem Phänomen, mit dem wir es hier zu tun haben, handelt es sich auch nicht um Antisemitismus in der Linken, der aus der antisemitischen Gesellschaft übernommen worden wäre, sondern um linken Antisemitismus, der daher auch als ein Problem (und nicht als notwendiger Inhalt) linker Theorie und Praxis verhandelt werden muss. Um zu belegen, dass es sich hierbei um einen Antisemitismus handelt, der in linken Zusammenhängen entsteht, muss nicht entschuldigend auf die sonstige Tätigkeit der AntisemitInnen verwiesen werden, etwa auf ihre Flüchtlingspolitik oder darauf, dass sie etwas betreiben, was sie Antirassismus nennen. Verwiesen werden muss nur auf die Herkunft der Phantasien, die sie zum Stereotyp zusammenbrauen.

Wer etwa Israel als faschistischen oder als Apartheids-Staat bezeichnet, für den oder die muss es sich bei den Bezeichnungen auch um Schimpfwörter handeln. Für FaschistInnen ist „faschistisch“ oder „rassistisch“ bekanntlich keine Kritik, weswegen solche Phantasien für sie auch nicht zum Mittelpunkt ihres Israelhasses werden können.

Wir können uns entsprechende Äußerungen daher auch nur als Abwehrreaktionen erklären, die das Problem mit dem linken Antisemitismus entweder verkleinern möchten, indem sie es als externes Problem beschreiben, oder aber - dies dürfte das Motiv der deutschen Presse sein - es totalitarismustheoretisch den „politischen Rändern“ der Gesellschaft zuschieben möchten.

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