Sonntag, 13. Dezember 2009

Antiimperialismus und Antisemitismus


Am 25.10. wurde die von der Gruppe Kritikmaximierung geplante Aufführung
des Claude-Lanzmann-Films »Warum Israel« von antisemitischen SchlägerInnen aus dem Umfeld des internationalen Zentrums B5 verhindert. Angesichts dessen und vor allem auch auf Grund des Umstandes, dass es offensichtlich nach wie vor ausreicht, zu behaupten, man sei links, um von der Linken als solches anerkannt zu werden, halten wir einige Anmerkungen für notwendig. Wir möchten in diesem Zusammenhang eine grundlegende Kritik des antiimperialistischen Weltbildes formulieren. Das antiimperialistische Weltbild ist sowohl strukturell als auch inhaltlich antisemitisch. Eine Schlüsselfunktion nimmt in diesem Zusammenhang die Ideologie des Antizionismus ein.

Das antiimperialistische Weltbild vertritt eine vereinfachende Perspektive auf Herrschaft als personifizierbare Fremdherrschaft. Es rationalisiert die durch das Kapitalverhältnis hervorgebrachten Ausbeutungs- und Zurichtungsprozeduren als fremde Machenschaften, gegen die das Kollektiv der Unterdrückten aufzubegehren habe. Es ist deshalb strukturell antisemitisch. Das Weltgeschehen wird auf der Grundlage eines Gut-Böse-Schemas interpretiert. Das binäre Denken des antiimperialistisch en Weltbildes ist verknüpft mit dem Verlust jeglichen Realitätsbezugs sowie der Resistenz gegen jede Form von Erkenntnis und Erfahrung. Für die Befriedigung von Identifikationsbedürfnissen und projektiven Affekten wird dem schlechten Nationalismus der gute Nationalismus gegenübergestellt und parallel die reaktionärste aller politischen Kategorien mobilisiert, die des Volkes.

In der Übertragung des antiimperialistischen Weltbildes auf den Konflikt zwischen Israel und der palästinensischen Befreiungsbewegung wird der strukturelle Antisemitismus zu einem inhaltlichen. Der Antizionismus fungiert in diesem Zusammenhang als eine Konstruktion, die es deutschen Linken ermöglicht, guten Gewissens antisemitisch zu sein, ohne es zugeben zu müssen. In der antizionistischen Perspektive kämpft das gute palästinensische Volk, das als eine natürlich gewachsene Gemeinschaft gilt, gegen das „künstliche Zionistengebilde“. Jüdinnen und Juden werden nicht als „natürliches Volk“ gesehen und haben deshalb auch keinen Anspruch auf einen eigenen Staat. Jüdinnen und Juden sind im völkischen Denken, welches für die antiimperialistische Ideologie konstitutiv ist, das „Antivolk“. Der Antizionismus wird damit zur globalisierten, geopolitischen Reproduktion des Antisemitismus. Israel ist „der Jude“ unter den Staaten. Antizionismus ist eine spezifische Form des Antisemitismus nach Auschwitz. Der antisemitische Hass richtet sich in Ermangelung konkreter Objekte auf ein Ersatzobjekt - auf den kollektiven Juden in Form des israelischen Staates.

Auf welcher Seite Unterdrücker und Unterdrückte im Konflikt zwischen Israel und der palästinensischen Befreiungsbewegung jeweils zu verorten sind, ist im antiimperialistischen Weltbild schnell ausgemacht. Vor dem Sechs-Tage-Krieg gehörte ein positiver Bezug auf Israel in der deutschen Linken zum guten Ton. Dieser positive Bezug war nicht zuletzt durch das Bedürfnis motiviert, die deutsche Vergangenheit zu entsorgen und sich einmal mehr darüber zu
vergewissern, auf der Seite der Guten zu stehen. Nachdem Israel im Sechs-Tage-Krieg seine militärische Schlagkraft unter Beweis stellen musste und sich daraufhin die Sympathiebekundungen für Israel nicht mehr in das David-gegen-Goliath-Modell, das Linke so gerne mögen, einfügen ließ, mutierte der jüdische Staat in der Wahrnehmung der deutschen Linken zum Aggressor par exellence im Nahen Osten. Diese Deutung wurde und wird legitimiert durch den ebenso penetranten wie geschichtsblinden und zynischen Versuch, den Juden den Faschismus anzudichten sowie die Diffamierung des Zionismus als rassistisches Projekt. Die Täter-Opfer-Dichotomie des Antizionismus in der deutschen Linken geriert sich als Revolte, der spätestens seit der 2. Intifada auch die Kollaboration mit Djihadismus und Klerikalfaschismus opportun und legitim erscheint.

Wir wissen, dass sich die deutsche Linke in weiten Teilen mittlerweile von den Positionen des Antiimperialismus der alten Schule distanziert. Die Anerkennung des Existenzrechts Israel ist weitestgehend konsensfähig. In den meisten Fällen bleibt sie jedoch nichts als ein Lippenbekenntnis, weil nichts daraus folgen darf, was die linke Befindlichkeit nicht verkraftet. Antizionistisch ist für uns aber auch all das, was anfängt mit einem „ich habe ja nichts gegen Israel“ und mit einem dicken „aber“ endet. Wir kritisieren die hartnäckige Weigerung der deutschen Linken, den Zusammenhang zwischen Antisemitismus und Antizionismus zu reflektieren. Es geht nicht darum zu behaupten, dass Israel grundsätzlich nicht kritisiert werden dürfte. Unklar ist uns aber zweierlei. 1. Wieso ist die deutsche Linke nicht in der Lage wahrzunehmen, dass Israel permanent und von allen Seiten sowieso kritisiert und mit Ansprüchen und Forderungen konfrontiert wird, die keinem anderen Land der Welt zugemutet werden? Und 2. Woher kommt das Bedürfnis sich ausgerechnet in Bezug auf Israel als die Instanz moralischer Integrität und Überlegenheit aufzuspielen? Die Kritik, die die deutsche Linke an Israel formuliert, gründet auf ihren Ressentiments. Solange die deutsche Linke wiederkehrend behauptet, Zionismus sei Faschismus, so geschehen z. B. in Form von Schmierereien in der roten Flora, kann es nicht darum gehen Kritisierbarkeit einzufordern, sondern es muss darum gehen, sich israelsolidarisch zu positionieren.

Der Zionismus ist nicht die richtige Antwort auf den Antisemitismus. Die richtige Antwort auf den Antisemitismus wäre die Beseitigung seiner Ursachen, d. h. die Abschaffung aller Verhältnisse, in denen der Mensch ein erniedrigtes und geknechtetes, ein verlassenes und verächtliches Wesen ist zu Gunsten der Assoziation freier Individuen in einer staaten- und klassenlosen Weltgesellschaft. In einer Welt aber, die die Vernichtungsdrohung gegen Jüdinnen und Juden nie zurückgenommen hat, in einer Welt, in der niemand Jüdinnen und Juden beschützen wollte (und schon gar nicht die deutsche Linke), ist der Zionismus die einzig mögliche auf den Antisemitismus. Der Zionismus ist realpolitisch die einzige Möglichkeit, dem kategorischen Imperativ nach Auschwitz, alle Verhältnisse so einzurichten, dass Auschwitz nicht sich wiederhole, nicht ähnliches geschehe, gerecht zu werden. Der Zionismus steht für den Versuch einer jüdischen Selbstermächtigung. Diese Form der Selbstermächtigung beinhaltet faktisch immer auch die Notwendigkeit der Selbstverteidigung. Dass die antisemitische Vernichtungsfantasie, die auch für den Antizionismus konstitutiv ist, bisher nicht verwirklicht werden konnte, ist der israelischen Staatsgewalt zu verdanken. Antifaschismus muss für die Solidarität mit Israel alle notwendigen Mittel anerkennen. Antifaschismus ist
deshalb prozionistisch.

Mit Bedauern haben wir zur Kenntnis genommen, dass die Unterstützung, die die klassisch autonome Szene Hamburgs dem Bündnis gegen Hamburger Unzumutbarkeiten entgegenbringt, eher zurückhaltend ist. Auf Grund unterschiedlichster Abgrenzungsbedürfnisse, über deren Genese wir in der Regel nur spekulieren können, sah man sich in diesen Kreisen nicht in der Lage, sich dem Bündnis gegen Hamburger Unzumutbarkeiten anzuschließen. Uns bleibt nichts anderes übrig als dieses hinzunehmen. Was wir jedoch nicht hinnehmen werden, ist die fortgesetzte Unfähigkeit und mangelnde Bereitschaft der Hamburger Linken, sich unabhängigvon identitärem Labeling dazu zu verhalten, dass antisemitische und antizionistische Positionen in der Hamburger Szene nach wie vor virulent sind.

Wir fordern deshalb dazu auf, antisemitische Schläger - auch linke – unmöglich zu machen. Da sich das antisemitische Ressentiment auf Grund seines durch und durch wahnhaften Charakters jederzeit in roher Gewalt entladen kann, ist es nicht unser Ziel, die ProtagonistInnen von SoL, TAN und B5 einem Benimmkurs zu unterziehen oder zu Mäßigung aufzurufen. Die gewalttätige Verhinderung des Lanzmann-Films ist kein Ausrutscher, sondern Programm. Sie steht für eine Verschränkung von Inhalt und Form. Unser Ziel ist die ideologiekritisch begründete politische und soziale Isolierung des gesamten Packs. Der 25.10. hat einmal mehr gezeigt, dass nicht nur das platte Land entbarbarisiert werden muss, sondern auch die Hamburger Brigittenstraße. Wir fordern deshalb die sofortige Schließung des internationalen Zentrums B5.

(Redebeitrag Demonstration gegen Antisemitismus, 13.12.09)