Sonntag, 13. Dezember 2009

Darum Israel!


Warum Israel. Der Film trägt im Titel kein Fragezeichen. Er könnte auch „Darum Israel“ heißen, denn er zeigt aus unterschiedlichsten jüdischen Perspektiven Gründe für Israel als souveränen Staat. Das Fragezeichen steht an einer anderen Stelle, bei der Frage, ob es eine Normalität in Israel geben kann und wie sie aussieht. Der Film begibt sich auf eine Suche nach Antworten. Oder besser: Mit filmischen Mitteln sucht Claude Lanzmann nach Antworten.


Geboren 1925 als Sohn assimilierter Juden in Paris, kämpfte Lanzmann in der Résistance gegen die Deutschen. Nach dem Krieg studierte er Philosophie in Tübingen. Bevor er als Weggefährte von Simone de Beauvoir und Jean Paul Sartre die philosophische Zeitschrift »Les Temps Modernes« mit herausgab, lehrte er an der FU Berlin. Ende der 40er Jahre verfasste er Reportagen über Ostdeutschland beziehungsweise die DDR, wofür er heimlich die Grenze überquerte. In einem Interview erzählt Lanzmann: „Zurück in Frankreich habe ich eine Serie von 10 Artikeln geschrieben, die ich an Le Monde sandte, ohne irgendjemanden zu kennen. Drei Tage später haben sie mir geantwortet, dass sie meine Reportage unter dem Titel Deutschland hinter dem eisernen Vorhang publizieren wollten. Das gefiel mir gut und also bin ich nach Israel gefahren mit dem Gedanken, dies zu wiederholen.“ Doch die Reportage wurde nie geschrieben. Zu persönlich und zu intim waren seine Eindrücke auf der ersten Reise nach Israel 1952, als dass sie zu dem objektiven Anspruch an eine Reportage gepasst hätten.

In Israel lernte Lanzmann eine jüdische Kultur und eine jüdische Welt kennen, Bezüge, die er bis dahin nicht kannte. Zwanzig Jahre später unternahm Claude Lanzmann einen neuen Versuch, sich den vielen Fragen zu nähern. Was ist jüdische Identität? Kann es so etwas wie Normalität in einem Land wie Israel geben? Was ist das überhaupt? Hieraus entstand der Film »Warum Israel«, der die unterschiedlichen und auch widersprüchlichen jüdischen Stimmen Israels porträtiert. Zu Wort kommen Ultra-Orthodoxe ebenso wie im Kibbuz lebende Kommunistinnen und Kommunisten, aus Russland und Marokko Eingewanderte, Polizisten und Polizistinnen ebenso wie Gefängnisinsassen, Ashkenasim und Sephardim, also europäische und nicht europäische Juden und Jüdinnen. Sie alle und noch viele mehr formulieren Erwartungen, Ansprüche und Interessen, die sich nicht einfach vereinheitlichen lassen.

Exemplarisch seien hier einige Ausschnitte vorgestellt. Eine Gruppe der schwarzen Panther beklagt die Bevorteilung der russischen Einwanderer und Einwanderinnen. Dieser politische Zusammenschluss sephardischer Juden fordert die Gleichstellung aller jüdischen Staatsbürger_ innen. In einem anderen Interview erzählen Hafenarbeiter, dass sie aufgrund ihrer Streiks oft angefeindet werden. Trotz des Unverständnisses akzeptieren sie, dass es in der israelischen Gesellschaft Arme und Reiche gibt. Denn Israel, die israelische Gesellschaft steht für sie an erster Stelle. Die sozialen Spaltungen, die unterschiedlichen religiösen und politischen Weltanschauungen, Vorstellungen von Israelisch und Jüdisch-sein werden von Lanzmann offen gelegt und nicht geglättet. Die Widersprüche bleiben in diesem Film bestehen. Auch schön dargestellt in der Markt-Szene, in der aus Deutschland stammende Juden und Jüdinnen intensiv über ein französisches Filmteam diskutieren. Auf Deutsch wohlgemerkt. Wenig später sind amerikanische jüdische Touristen zu sehen, die euphorisch die Produktpalette in einem Supermarkt bestaunen und sich freuen, dass es jüdischen Thunfisch in Öl und jüdisches Brot gibt. Eine Szene, die Lanzmann inszeniert hat, um wie er sagt, das Staunen zu zeigen, das jeder Jude und jede Jüdin erfährt, der/die zum ersten mal nach Israel kommt - was einer gewissen Komik nicht entbehrt.

In dem Film spricht keine Stimme kommentierend aus dem Off. Lanzmann arrangiert jedoch die Aussagen der Protagonistinnen und Protagonisten: Zum einen stellt er sie in Themenblöcken zusammen, zum anderen schneidet er mitunter konträre Meinungen gegeneinander. Er selbst ist als Interviewer häufig im Bild. Von den Befragten sind zumeist nur die Gesichter zu sehen, wenn sie ihr Verhältnis zu Israel in Worte fassen. In Nahaufnahmen werden Zugehörigkeiten, Schwierigkeiten und Besonderheiten mitgeteilt. Es werden die unterschiedlichsten Vorstellungen geäußert, wie Normalität in Israel aussehen und ob es überhaupt eine Normalität geben kann. Einig sind sich alle jedoch in einem Punkt: Es muss einen Staat Israel geben.

So verhandelt der Film in den 1970er Jahren Fragen nach jüdischer Normalität in Israel. Fragen, die weder abschließend noch eindeutig beantwortet werden. Persönliche Geschichten reihen sich an historische, religiöse und politische Beweggründe.

Nicht alle, jedoch viele Interviewte nennen die Shoah oder Erfahrungen von Antisemitismus als Grund für die Notwendigkeit des Staates Israel.

Für den Filmemacher Lanzmann ist die Shoah in jedem Fall zentral. So beginnt und endet der Film in der Gedenkstätte Yad Vashem. In diesem Sinne will Lanzmann den Film nicht nur als Antwort auf die Frage nach jüdischer Identität verstanden wissen, sondern auch als politische Antwort auf jegliches Infragestellen des Staates Israel an sich. Das folgende Zitat verdeutlicht seine Position: „Dann war da der 6-Tage-Krieg, den die Israelis gewannen und nachdem ein Großteil der antikolonialistisch en Linken, ein Großteil meiner Kampfgenossen anfing auf Israel herumzuhacken mit dieser hundsgemeinen Pauschalisierung: das sind Sieger, das sind Nazis, mit der daraus folgenden neuen Opferrolle der Araber. Es war unglaublich. Ich habe also diesen Film gemacht, um ihnen zu antworten, ihnen zu sagen, das Israel kein Volk von Mördern, sondern ein Volk von Flüchtlingen ist, ein Volk von alten Frauen. Es gibt also zwei große Erklärungen für diesen Film: Einerseits die Vergangenheit, die unvollendete Reportage, andererseits diese genuin politischen Gründe.“

Darum der Film! Darum Israel! Es gibt kein Fragezeichen hinter dem „Warum“.

(Redebeitrag Demonstration gegen Antisemitismus, 13.12.09)