Sonntag, 13. Dezember 2009

Antisemitismus in der Linken, linker Antisemitismus und die Einzelfälle

Um mit den einfachen Feststellungen zu beginnen: Es gibt unter denjenigen, die sich selbst als Teil der Linken bezeichnen, AntisemitInnen. Beteuerungen, Linke könnten nicht antisemitisch sein, weil sie ja links und damit irgendwie für das Gute, Wahre und Schöne einstünden, sind leicht als Abwehr jeglicher Kritik zu verstehen.

Auch handelt es sich dabei nicht um Einzelfälle. Sicherlich hat die historische Linke sich nicht an den organisierten antisemitischen Vereinigungen des 19. Jahrhunderts und der ersten Hälfte des 20. beteiligt und Distanz hierzu gesucht. Die relevanten Strömungen der Arbeiterbewegung wussten immer um deren reaktionär-konservativen Charakter. Aber wer nur diejenigen Strömungen als die historische Linke bezeichnen möchte, die nicht trotzdem Überschneidungen mit dem antisemitischen Weltbild hatten, würde zu dem unsinnigen Ergebnis kommen, dass es eine gesellschaftliche Linke nie gegeben hat.

Folge dieser Überschneidungen war, dass der nationalsozialistische Antisemitismus in der antifaschistischen Agitation vor und während des 2. Weltkriegs nicht thematisiert werden konnte. Daran änderte sich auch nach dem Sieg über Deutschland nichts, die Linke beteiligte sich an der Verdrängung der Shoah.

Die Betonung der Gemeinsamkeiten, die die verschiedenen Varianten des Antisemitismus aufweisen, legt es nahe, von Antisemitismus in der Linken zu sprechen. AntisemitInnen gibt es in jeder politischen Partei und jeder gesellschaftlichen Bewegung, aber insgesamt erscheint er als eine individuelle Pathologie mit gesellschaftlichem Inhalt, aber ohne spezifisch gesellschaftliche Motivation. Wer antisemitisch argumentiert, kann nicht im Namen eines besonderen gesellschaftlichen Interesses auftreten oder von einer bestimmten politischen Position aus sprechen, wenn diejenigen, gegen die sich das eigene Interesse richtet, ähnliche antisemitische Phantasien haben können. Linke AntisemitInnen gäbe es dann mit der gleichen statistischen Wahrscheinlichkeit wie Linke mit Heuschnupfen, oder, um bei Beispielen im Bereich des subjektiv-psychologischen zu bleiben, wie Linke mit klinischer Depression.

Eine solche Diagnose freilich ist apolitisch, ignoriert den gesellschaftlichen Inhalt des antisemitischen Denkens und liefert mehr neue Fragen als Antworten. Ist es nicht die Aufgabe linker Gesellschaftskritik, gerade diejenigen Denkformen aufzudecken, in denen der unhaltbare Zustand der gesamten Gesellschaftsform verschleiert wird? Ist also linker Antisemitismus nur ein Symptom mangelnder revolutionärer Gesinnung? Also ein Resultat der fehlenden Bereitschaft, auch die gesellschaftlichen Grundformen abzuschaffen? Kann es also doch keinen linken Antisemitismus geben, wenn wir nur richtig begreifen, was linke Gesellschaftskritik ist?

Die Antwort hierauf muss leider „Nein“ lauten. Denn es ist schlichtweg nicht so, dass die AntisemitInnen vermehrt bei den sogenannten Reformern anzutreffen gewesen wären. Auch hier gilt wieder: Entweder gab es niemals linke Revolutionäre, oder die Diagnose ist falsch.

Oberflächlich kann als Grund hierfür gelten, dass der Antisemitismus einen destruktiven, konformistisch-revoltierenden Charakter hat, der auch im Widerspruch zu pragmatisch reformistischen Bestrebungen steht. In Deutschland spielt ein solcher Pragmatismus kaum eine Rolle, in anderen Ländern aber schon. Plakativ gesagt: Wer etwa das Geld gar nicht abschaffen will, und es als rationales Mittel und nicht als unheimliche Macht wahrnimmt, wird sich auch mit der Identifikation von Geld und Judentum nicht anfreunden können. Wer den Nationalstaat für ein geeignetes Instrument sozialistisch-demokratischen Miteinanders hält, dem oder der werden eher die Nicht-Anerkennung eines jüdischen Staates auffallen, die aus der gängigen „Israelkritik“ spricht. Bekanntlich stimmt auch das nicht, der Antizionismus ist häufig ein Mittel, um durch die Denunziation des einen Staates die herrschaftsförmige Konstitution jedes anderen zu verdrängen. Aber andernorts gibt es wenigstens solche Strömungen.

Die These vom Antisemitismus, der sich lediglich auch in der Linken findet, ist also nicht zu halten. Es dürfte sich vielmehr so verhalten, dass gerade der unreflektierte, sich selbst absolut setzende Wille zu gesellschaftlicher Veränderung, der sich unabhängig bestimmter gesellschaftlicher Voraussetzungen für revolutionär hält, dazu tendiert, antisemitische Stereotype zu bilden. Selbst die Frage, ob dieser Wille die Aneignung der Staatsmacht zum Inhalt hat, oder sich staatsfeindlich gibt, ist kein geeignetes Differenzierungskriterium. Bereits die Unterschiede etwa zwischen der B5 und der TAN, die sich vermutlich außer im Antisemitismus und ihrer anti-antideutschen Paranoia in nichts einig sind, belegt dies.

Es geht also um linken Antisemitismus. Gerade aus gesellschaftskritischer Perspektive werden wir eingestehen müssen, dass es eine Geschichte spezifisch linker antisemitischer bzw. heute antizionistischer Ressentiments gibt, die bei aller Gemeinsamkeit zum Antisemitismus anderer politischer Strömungen auch in Differenz steht. Dafür spricht etwa, dass die meisten Varianten der heute im Internetforum jeder Tageszeitung findbaren antizionistischen Täter-Opfer-Umkehr aus der linken Palästinasolidarität der 70er und 80er Jahre stammen. Er ist von ihr nicht übernommen, sondern erstmalig in die Welt gebracht worden. Die Täter-Opfer-Umkehr gab es zu jener Zeit auch im Rest der postfaschistischen Gesellschaft, nur wurde hier mit anderen Bildern und Stereotypen gearbeitet. Israel so als faschistischen Staat bezeichnen, wie es damals üblich war und in der B5 noch heute ist, konnte und kann nur, wer auch die orthodox-marxistischen Faschismustheorien teilt. Für FaschistInnen ist „faschistisch“ oder „rassistisch“ bekanntlich keine Kritik, weswegen sie auch nicht auf die Idee kommen können, Israel als faschistisch zu denunzieren.

Wie auch immer dieser Weg zum linken Antisemitismus aussieht, welchen Mechanismen er folgt, in welchen gesellschaftlichen Prozessen er entsteht und wie er sich bei den einzelnen als stereotype Welterklärung durchsetzt: Aufgefordert werden muss nicht dazu, sich mit Antisemitismus in der Linken auseinanderzusetzen, sondern mit linkem Antisemitismus. Unsere eigenen Vorstellungen von Emanzipation und gesellschaftlicher Veränderung und subjektiver Macht- und Ohnmacht stehen zur Debatte, wenn wir über linken Antisemitismus reden. Die linken AntisemitInnen und AntizionistInnen ahnen dies, wenn sie sich darüber beklagen, dass eine Kritik des Antisemitismus einem Verbot jeglicher Kapitalismuskritik gleichkäme. Nur spricht dies eben nicht gegen die Kritik des Antisemitismus, sondern gegen die Gesellschaftskritik, die den AntisemitInnen vorschwebt.

Daher ist es nicht nur empirisch falsch, diejenigen, gegen die sich diese Demonstration richtet, als „Linksnazis“ zu beschreiben, die zu behandeln seien wie alle anderen Nazis auch. Um dies zu belegen, muss nicht auf ihre sonstige Tätigkeit verwiesen werden, etwa auf ihre Flüchtlingspolitik oder darauf, dass sie etwas betreiben, was sie Antirassismus nennen. Verwiesen werden muss nur auf die Herkunft der Phantasien, die sie zum Stereotyp zusammenbrauen. Es ist auch gerade keine Ehrenrettung der Linken, hierauf zu beharren. Umgekehrt ist es ein Eingeständnis, dass die abzuschaffenden gesellschaftlichen Verhältnisse eben nicht so beschaffen sind, dass ein wenig guter Wille und ein reines Herz oder ein proletarischer Staat geeignet sind, sie abzuschaffen.

Wer dann, wenn linke AntisemitInnen zeigen, zu was sie fähig sind, nur noch von Nazis reden kann, will es sich entweder nach altbekanntem Muster einfach machen, und den Antisemitismus doch wieder aus der eigenen Geschichte tilgen. Dies ist ein Mittel zur unangemessenen Ehrenrettung der Geschichte der Linken. Weil wir aber keine andere haben und vor der Revolution auch nicht haben können, dürfen wir diese nicht reinwaschen, damit wir uns unschuldig identifizieren können, sondern müssen sie gegen unser Bedürfnis zur Identifikation bearbeiten. Alternativ kann die Rede von den linken Nazis auch ein Mittel sein, um vergessen zu machen, dass die gesellschaftlich organisierte Macht, namentlich der Staat, historisch nicht nur Garant des Kapitals, sondern auch das Mittel der Entfesselung der Barbarei sein konnte. So grüßt nur die Totalitarismustheorie und nicht die Kritik, und die Linke, die sich von ihrem eigenen Antisemitismus nicht lösen kann, erscheint als Ansammlung verlotterter Einzelfälle. Auch dem ist zu widersprechen.

(Redebeitrag Demonstration gegen Antisemitismus, 13.12.09)